Aprilwetter, remediated

28. April 2017
Ricarda de Haas: oral literal medial? Assoziationen zwischen Kiez und Welt
https://alphabettinenblog.com/2017/04/28/aprilwetter-remediated/


Früher Morgen.

Die Leute laufen hintereinander. Einzeln, stumm, in langer unregelmäßiger Reihe. Von zu Hause kommend, auf dem Weg zur U-Bahn. Die Sonne scheint warm, niemand blickt in den Himmel. Jeder schaut nach unten, in die Hand, die das smartphone hält. Jede wird von unten fahl beleuchtet. Gespenstergesichter mitten in einem goldenen Morgen.

Es könnte eine Performance sein, entwickelt von einem Berliner Off-Theater in den 90ern, remediated 2015.



Ich, die ich in die andere Richtung will, laufe im Slalom durch die Reihe derer, die entgegen kommen. Weiche aus – rechts, links. Einmal ahnt jemand mein Kommen, sanftes Ausweichen zur selben Seite. Fast stoßen wir aneinander. Ein kurzes ‚Entschuldigung‘, hoch schauen, dann wieder versinken.

Es ist, als träumten alle, solange es geht. Und ich, überwach, sehe den Träumenden zu.

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Später Abend.\\

Menschenleer die Strassen. Das kurze Sommerglück vorbei. Kälte kriecht unter die Jacke. Regen peitscht von vorn. Ich strecke den Schirm schräg vor mich. Er fängt den Sturm ab. Blind tappe ich in seinem Schatten. Falls wirklich wer entgegen kommt, wird er dem Schirm ausweichen.


Ein dumpfer Stoß. Das Geräusch von Metall, das über gespannten Stoff streift. Der Puls rast. Ich weiche links aus, die anderen Schritte nach rechts. Irgendwie kommen wir auseinander. Wir sehen uns an. Sie sieht meinen schwarzen Schirm. Ich sehe ihr smartphone.

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Wir lachen los. Sprechen klappt nicht. Stammeln. Wir sehen uns an – sehen, was die andere sieht. Lachen, lachen ohne aufzuhören. Erleichterung. Und ein Spritzer Hysterie. Die Andere ist auch eine Frau. Nachts, auf menschenleerer Strasse.

Wir wünschen uns einen guten Heimweg. Streben in entgegengesetzter Richtung ins Licht.



copyright (text and pictures) Ricarda de Haas 2017/ 2021